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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Alte & Weise: Michel Houellebecq

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Von Redaktion / / alte-weise, spreu-weizen / 6 min Lesezeit

„Die Vorstellung des permanenten Wandels macht das Leben unmöglich.“

Michel Houellebecq

5 Kommentare
  • Hartmut Amann
    4. Februar, 2022

    Diese Aussage hat für mich umso mehr Gewicht und Bedeutung, als sie von einem französischen Denker und Lebensphilosoph kommt. Angewandte Lebensphilosophie, möchte ich das nennen, was in seinen Romanen ins geistesgestörte Leben tritt. Schauderös zwar, aber unverzichtbar.

    Dass der verordnete, diktierte permanente Wandel, mit der in Aussicht gestellten Freude (… und ich freu mich drauf!) der Wirtschaft die unerlässliche Vertrauensbasis und Planungssicherheit entzieht, mit desaströsen folgen, müsste eigentlich zumindest den Unternehmern und Freiberuflern klar sein. Ist es aber offensichtlich nicht, denn sonst würden sie nicht mehrheitlich all die schikanösen Maßnahmen vollziehen und oft sogar noch übererfüllen. Für alle aber unter 65 unsichtbar und unmerklich entsteht bei den Ü 65 ern, den Alten also, deren Lebensalltag über Jahrzehnte eingeschliffen wurde, bis hin zum wachsweichen Frühstücksei, eine ständig zunehmende Irritation, mit der Folge einer inneren Emigration.

    Ich halte die geistige Verarmung im Alter – bei oft voller geistiger Zurechnungsfähigkeit – die durch all die wohlmeinenden sozialen Maßnahmen wie z.B. Betreutes Wohnen, was ja Betreutes Denken impliziert, für das viel größere Problem als die vielbeklagte Altersarmut.

    Ich bin 79 und habe Grundsicherung. Materiell lebe ich damit wie ein Fürst. Geistig und seelisch verkümmere ich in dieser asozialen Sozialgesellschaft. Gäbe es Alexander Wendt nicht und den guten Klonovsky und Hadmut Danisch auch, ich wäre längst eingegangen wie ein Primelchen, welches man vergaß, zu gießen.

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  • Dr. M. Ludwig
    4. Februar, 2022

    Lieber Hr. Amann,

    Sie sprechen mir aus der Seele. Ich erkenne dieses schöne Land, welches mich bis ins fortgeschrittene Alter begleitet hat, nicht wieder. Ich fühle mich als Fremder in einer erinnerten Heimat.

    Mit traurigen Grüßen

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    • Hartmut Amann
      4. Februar, 2022

      Tja. Wat nu?
      So sehr mich die Bestätigung (aus der Seele gesprochen zu haben) natürlich freut, lieber Dr. L., was machen wir nun?
      Bin, Sternzeichen Schütze, a) kein Kind von Traurigkeit, außer, wenn ich in eine heillose Depression falle,
      b) Ideenvulkan, c) Unternehmungslustig von Kopf bis Fuß.
      Und wissen Sie was? Wenn der Herr Wendt uns freundlicherweise verkuppeln tät, was ich doch sehr hoffen tät, dann könnten wir morgen schon mit einem Vitalisierungsprogramm starten.
      Nein, keine Gymnastik. Auch nicht tanzen in Ringelreihen. Seh ich so aus? Ganz was neues, und gleichzeitig uraltes. Mehr verrat ich nicht.
      Schöpfen Sie neuen Mut !
      Alexander Wendt
      sei Dank.

      PS: Kennen Sie zufällig das Buch : «Der wunderbare Massenselbstmord»

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  • A. Iehsenhain
    4. Februar, 2022

    Das Zitat eines großen Geistes, der zum Glück auch noch lebt. Houellebecq hat sich zudem intensiv mit dem Werk H. P. Lovecrafts beschäftigt, den ich ebenfalls sehr verehre. Manchmal scheint mir, Lovecraft hat mit seinen kosmischen Monstrositäten die Larven des grün-roten Schreckenskosmos bereits vorausgesehen und zugleich auch persifliert. Die Vorstellung vom Wandel scheint heutzutage überhöht, wenn, dann sollte er aus dem Kleinen heraus und vor allem freiwillig stattfinden. Der «Wandel» in seiner ideellen Übertriebenheit ist auch fast immer rückwärtsgewandt; mit den Mitteln der heutigen Technik, die oft auf das Destruktive reduziert werden, entsteht so eine Art Super-Mittelalter mithilfe digitaler Barbarei. Denke ich z. B. an die Grünenpartei, fällt mir auch als Gleichnis James Graham Ballards «Mr. F. ist Mr. F.» ein, über einen kränkelnden Mann und seine hochschwangere Frau. Während in der Folge deren Bauch immer kleiner wird, kommt heraus, dass der Titelheld in Wirklichkeit gar nicht wirklich krank ist, sondern sich vom Mann in ein Kleinkind und schließlich in einen Säugling zurückverwandelt, der von seiner nunmehr flachbäuchigen Frau auf dem Arm getragen wird – und letzten Endes landet er dann als Koitusgedanke im Kopf seiner Frau, die ihn anschließend mit seinem besten Freund betrügt…

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  • Thomas
    6. Februar, 2022

    Im Hochamt spricht man von reaktionärer Blödheit

    Die Vorstellung des permanenten Wandels macht das Leben unmöglich.

    Die so genannte „taz“ hat etwas zu Houellebecqs Essayband geschrieben:
    „Die EU würde er am liebsten sofort auflösen. Frankreich solle aus der Nato austreten. Trump sei der beste Präsident, den die USA je hatte, weil er die Anliegen der Arbeiter vertrete, das Gespräch mit Putin suche und die Welt nicht mit Kriegen überziehe. Das alles ist von so ausufernder Schlichtheit und Dämlichkeit, dass es sich um Sarkasmus handeln muss. Damit wäre es kein Zufall, dass gerade hier die Koordinaten zwischen links und rechts ordentlich durcheinandergeraten. Aber vielleicht ist das kein Sarkasmus, sondern einfach reaktionäre Blödheit.“
    (Politisches Buch/Kultur, taz, 4. 12. 2020)
    https://taz.de/Essayband-von-Michel-Houellebecq/!5731138/

    Nun gibt es (nachlesbar) Leute,
    die liebend gerne und möglichst bald eine EU-Verfassung über die Einladungs-Festung Europa (alle rein, keiner raus) stülpen würden (also quasi die Metamorphose vom Gastarbeiter zum Gastflüchtling im Namen der real existierenden Partizipation); diese Leute wollen die Ukraine in der Nato haben und wünschen sich einen US-Präsidenten, der nicht etwa die Anliegen der Arbeiter in den USA vertritt, sondern das Gespräch mit Putin ablehnt und die Welt mit Kriegen überzieht. Zum Wohle der Menschheit, versteht sich.

    Aus derlei erlesenen Denkerkreisen heraus wird dann zu Monsieur Houellebecqs Gedanken geschrieben, das alles sei „von so ausufernder Schlichtheit und Dämlichkeit, dass es sich um Sarkasmus handeln muss“ und „vielleicht ist das kein Sarkasmus, sondern einfach reaktionäre Blödheit“. Nun,

    daß man beispielsweise bei der „taz“ die Worte „Schlichtheit, Dämlichkeit und Blödheit“ kennt, ist ja bekannt. Allerdings ändert das nichts daran, daß der permanente Wandel das Leben unmöglich macht (Houellebecq). Und so ist es auch.

    Wobei das gemütliche Leben (also Struktur) bei Linken und Grünen erstaunlicherweise dann Privatsache ist, wenn es sich um das Privatleben von Linken und Grünen handelt. Bei den Unreinen gilt das Private dagegen als politisch – mit allen Konsequenzen für Büro, Arbeitsplatz, Privatwohnung, Glasscheibe und Autoreifen. Selbst bei der Polizei merkt man so langsam, daß das Zusammenleben täglich neu ausgehandelt wird.

    Houellebecq ist unbequemer Stoff. Am Ende hat wirklich niemand mehr etwas zu lachen. Im Grunde sind ihm die Linken und Grünen nur böse, weil sie dessen Schreckensgespenster nicht gebrauchen können, weil er politisch nichts hergibt und weder zur Fibel für die Unreinen (Aha!) noch als Streitschrift gegen sie taugt. Fast schon automatisch ist dann in der so genannten „taz“ von „Schlichtheit, Dämlichkeit und Blödheit“ in Houellebecqs Schriften die Rede – so etwas geschieht heute selbstverständlich ohne Begründung: Das „weiß doch jeder“.

    Nun, die Brüder, Schwestern und Sonstige bei der so genannten „taz“, die müssen es ja wissen. Die kennen sich mit Schlichtheit, Dämlichkeit und Blödheit ja aus (lach).

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Original: Alte & Weise: Michel Houellebecq

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