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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Wochenrückblick: Juli Zehs dröhnendes Schweigen

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Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 12 min Lesezeit

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Schwarz ist bekanntlich das neue Bunt, Sitzen das neue Rauchen, Einsamkeit ist ebenfalls das neue Rauchen – woraus auch folgt, dass Sitzen die neue Einsamkeit ist. Unter die Trends des Neuen reiht sich eine brandneue Weiterung ein, nämlich das Reden, Schreiben und öffentliche Herummeinen als das neue Schweigen.

Jedenfalls beklagte sich Jana Hensel in Zeit Online darüber, dass die Intellektuellen dieses Landes zu der „Erklärung 2018“ schweigen, gerade jetzt, wo die Rechten kurz vor der Definitionsmachtergreifung stünden. Illja Trojanow, so Hensel, würde schweigen, vor allem aber Juli Zeh habe den gefährlichen Bürgern noch nichts entgegnet, kurzum, wenn es ihn noch gebe, könnte Günter Grass die ganzen zeitgenössischen moralischen Instanzen in der Pfeife rauchen.

Vor allem Juli Zeh schweigt, wie es im Henri-Nannen-Schuldeutsch heißt, dröhnend, zumindest seit einem Interview im Deutschlandfunk zum Thema „Erklärung 2018“, in dem sie erläuterte, dass die Unterzeichner alte weiße Männer sind, die ihren Bedeutungsverlust nicht verkraften würden („Es wurden im 20. Jahrhundert sehr viele Rollenbilder, Gruppenzugehörigkeiten abgebaut“), und einem Fernsehaufritt, in dem sie meinte, die alten weißen Unterzeichner seien sehr schlimme und gefährliche Menschen; Nazis sollte man sie aber trotzdem nicht nennen, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen. Seit dem, wie gesagt, übt sie kommunikativen Verzicht. Jana Hensel schweigt auf ihre Weise auch, jedenfalls fällt ihr in ihrem umfänglichen Text nichts ein, was sie den Rechtspopulisten gern ins so genannte Stammbuch schreiben würde. Andererseits: wer so etwas wie ein Stammbuch besitzt, zu dem ist ja sowieso jeder Kommentar überflüssig.

Aber es wächst das Rettende auch, und zwar selbst dann, wenn die Welt ein Trappistenkloster für linke Intellektuelle oder überhaupt nur Linke wäre. Denn Katrin Göring-Eckhardt lässt sich nicht lumpen beziehungsweise das Singen und Sprechen nicht verbieten.

„Wenn die Integration teuer wird, wollen die Leute nicht länger an der Nase herumgeführt werden, sondern von Politikern diese Wahrheit hören: Ja, Leute, es kostet etwas, aber am Ende profitieren wir alle davon – mit mehr Sicherheit, übrigens auch sozialer Sicherheit“, vertraute sie in der verwichenen Woche der „Welt“ an.

Wem wäre das nicht geläufig: lange wollten die Leute dezidiert an der Nase herumgeführt werden, das heißt, sie verlangten es geradezu. Während sie jetzt danach lechzen, dass ihnen gerade Göring-Eckardt eine Wahrheit um die Ohren schlägt, die sie – die Leute nämlich – erst nicht hören wollten, dass es nämlich etwas, genau genommen sogar ziemlich viel kostet, allerlei morgenländische junge Männer in Deutschland zu beherbergen. Was die soziale Sicherheit angeht, hatte Göring-Eckardt schon 2015 festgestellt, die neu Angekommenen würden demnächst die Renten der schon länger hier Lebenden erarbeiten. Damals hatte ich den Vorschlag unterbreitet, die Altersversorgung von Berufspolitikern, Kirchenfürsten und Mitarbeitern der Öffentlichen-Rechtlichen künftig ausschließlich davon anhängig zu machen, was die neu Dazugekommenen netto in die Kassen einzahlen. Auch dazu gibt es nichts als Schweigen. Tausendmal schade.

Der Bundesrechnungshof hatte gerade in einer Untersuchung festgestellt, dass nach 600 Deutschstunden leider nur 48 Prozent der unterrichteten Migranten das Kursziel erreichen, nämlich eine Kompetenzebene, die für die Aufnahme von Hilfsarbeiten ausreicht. Ein ganz wesentlicher Grund, so die Rechnungsprüfer, sei der Umstand, dass viele Kursteilnehmer nur sporadisch am Unterricht teilnehmen würden. Eine Qualitätszeitung kommentierte diese Zahl folgendermaßen: man sollte doch einmal die Perspektive wechseln. Achtundvierzig Prozent würden das Ziel des Sprachunterrichts erreichen, das müsse man erst einmal lobend registrieren.

Nach diesem Perspektivwechsel und nach den Ereignissen von Ellwangen muss man hinzufügen: es ist ein Wunder, dass sich überhaupt jemand aus Deutschland abschieben lässt. Zumal ein anderes Qualitätsblatt – die untote Frankfurter Rundschau – zu Ellwangen den Begriff des rechtsfrömmelnden Ordnungsveteranen für all diejenigen prägte, die meinen, Gesetze müssten durchgesetzt werden. Aber wenn das Legalistätsprinzip ein wirklich dringendes Regierungsanliegen wäre,gäbe es doch ein Gesetzesdurchsetzungsgesetz, nicht wahr?

Wenn Juli Zeh fürderhin ausschließlich Rollenbilder abbauen und ansonsten tatsächlich schweigen könnte und die vielen anderen kritischen Querköpfe es Ihnen nachtun würden: Deutschland fühlte sich dann an, wie es sich jetzt für den Autor unter Griechenlands Sonne nur in der Fernbeziehung anfühlt, nämlich halkyonisch.

Mit einem entsprechenden finanziellen Aufwand – Flug, Hotel, Retsina – lässt sich die Ruhe vorläufig künstlich herstellen.

14 Kommentare
  • Peter Maronde
    7. Mai, 2018

    «Gesetzesdurchsetzungsgesetz»,
    dieser Begriff fehlt noch im Gesetzesdschungel Deutschlands.
    Alle diese Prominenten wie Julie Zeh uva. schwimmen im Strom der linken toten Fische freiwillig ins Meer der Vergessenheit. Sie leben vom Mainstream und betrachten zu recht alles als geschäftsschädigend, was nach eigener Meinung sich anhört.
    Das snd die einen; andere schweigen, weil sie sich den rotbunten Blockwarten der Moral nicht aussliefern wollen!

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  • Gerhard Klöckers
    7. Mai, 2018

    Sehr geehrter Herr Wendt,

    lieben Dank für die Wortschöpfung «Gesetzesdurchsetzungsgesetz». Ja, so etwas fehlt.

    Mit freundlichen Grüßen

    Gerhard Klöckers

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  • kdm
    7. Mai, 2018

    Katrin … (himmelhilf!) An soviel offensichtlicher Dummheit hätte auch Karl Kraus seine Freude. Und sie auch nur noch zitiert. Das reicht, um sie flugs in der Deppenabteilung abzulegen.
    .
    Oder verlangen wir nicht zuviel von dieser berufslosen Politikerin? = Logik in der Sprache, gar Kenntnisse, oder – oho! – Ehrlichkeit… ?
    .
    .
    Reicht nicht der Bindestrich im Doppelnamen? (war ja mal chic. Jedenfalls zu Zeiten als ich noch die Grünen gewählt habe, vor 35 Jahren)

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  • FunktionsElite
    7. Mai, 2018

    Wunderbar getextet. Allerdings würde ich vorsichtshalber das Gesetzdurchsetzungsgesetz an eine Dilettantenquote insbesondere auch in Printredaktionen koppeln, um die soziale Verträglichkeit zu unterstreichen. Ob die FR auch so verständnisbesoffen daher kommt, wenn ich mir die Printausgabe mal eben mitnehme, als PDF bei Raubbörsen runterlade und redaktionsseitige Einwände mit der Vorhaltung von rechtsfrömmelnder Oldschool abschmettere? Und das noch mit Marx sei aktueller denn je und die Zahlquote liege bei 85%? So what? Und schon Antoine de Saint-Exupery habe erkannt «Um klar zu sehen, genügt oft ein Wechsel der Blickrichtung».

    Nach der mentalen Machtergreifung der durch das Brandenburger Tor marschierenden weißen, alten Männer werden jedenfalls nach der Lesart harte Zeiten für kognitive Abenteurer in der Zeit-Redaktion anbrechen. Leider eine pure Angstprojektion mittelalter weißer Frauen mit Vaterkomplex, wo sie doch selbst im Kontext AfD wissen wollen, daß Angst zu Hass führe. Aber den leben sie selbst in allen pathologischen Print-Facetten aus.

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  • Prof. Mag . Meier-Bergfeld M.A
    7. Mai, 2018

    Ja, man soll auch einmal was «positiv registrieren», wie Wendt fordert: A.H. war immerhin Vegetarierer, Nichtraucher und Tierfreund. Und er ist nie aus der kathol-. Kirche ausgetreten, was bei dem Reichskanzlergehalt doch was ausgemacht hat. Sehr unbedankt. Und mehr noch: Er hat sein ganzes Reichskanzlergehalt der Winterhilfe gespendet, Sehr unbedankt.
    Allerdings: Die Tantiemen aus «Mein Kampf» waren groß, und sein «Recht am eigenen Bild» (wie liberal) hat er sich für jede Briefmarke des «tertium imperii» zahlen lassen. Viel Schatten PMB

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  • Ulrich Schellbach
    7. Mai, 2018

    Sehr geehrter Herr Wendt,

    mir gefallen oft die Inhalte Ihrer Texte sehr, jedoch halte ich Retsina für das Mittel, mit dessen Hilfe Gunther von Hagens seine Plastinationen produziert.

    Seufzende Grüße nach Ἑλλάς!

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  • Plutonia
    8. Mai, 2018

    Nun sitze ich hier einsam – in der Schwärze tiefster Nacht und rauche. Ich komme über meinen Bedeutungsverlust nicht hinweg. Hielt ich mich doch mein Leben lang für eine weiße Frau. Und nun? Nur weil ich die «Erklärung 2018» unterschrieben habe, soll ich jetzt plötzlich ein alter, weißer Mann sein? Bin ich vielleicht tatsächlich ein alter Mann, der sich nur ein halbes Jahrhundert für eine Frau hielt? Ich will nicht mehr länger an der Nase herumgeführt werden, sondern augenblicklich von Politikern die Wahrheit erfahren: Frau Göring-Eckhart, bin ich ein Mann? Sagen Sie mir bitte die Wahrheit! Sie dürfen mir auch ruhig vor den Kopf stoßen, nur bitte schweigen Sie nicht dröhnend! Es geht mir doch nur um die schonungslose Wahrheit, um meine nächtliche Ruhe wiederherstellen zu können.

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    • Peter Thomas
      13. Mai, 2018

      Liebe Plutonia, das ist sehr lustig! Und Sie kommen aus Schwaben? Zu Ihrer Frage besitze ich die Unverschämtheit, ungefragt meine Meinung zu äußern: Die Entschlossenheit Ihrer Worte weist in der Tat eher auf einen maskulinen Urheber als eine Urheberin hin. Wie dem auch sei – verbunden fühle ich mich Ihnen in der Bewunderung göring-eckhardtscher Geistesschärfe. Solange Menschxxx wie die Katrin im Bundestag über uns wachen, sollten wir alle in himmlischer Ruh zu schlafen uns erlauben.

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      • Plutonia
        14. Mai, 2018

        Lieber Herr Thomas, um meine himmlische Ruh‘ scheint es auch heute schlecht bestellt zu sein – trotz der über uns wachenden Frau Göring-Eckhardt. Nein, nicht etwa weil Sie mich für eine maskulin entschlossene Schwäbin oder einen schwäbischen, maskulin Entschlossenen halten, sondern weil ich soeben aus dem Focus vernehmen musste, dass Juli Zeh aufgrund ihrer Verdienste „für Freiheit und Demokratie“ und „gegen Rechtsextremismus und Gewalt“ mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wird. Ja, jetzt hilft nur noch Humor… Aber lustig muss er sein, wirklich sehr lustig.

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  • Andreas Dumm
    8. Mai, 2018

    Im Grunde hat Frau KGE doch nur mit männlicher Härte festgestellt, daß die dringend nötige Korrektur- und Innovationsarbeit an post-NS-Deutschland nichts für Weicheier ist. Wie sie allerdings ohne die rechtsfrömmelnden Ordnungsveteranen zu bewältigen sein wird, das hat sie nicht gesagt. Vielleicht ist sie angesichts der Quote von 48% doch ein bißchen erschrocken? Eigentlich unnötig, denn es waren ja nur 600 Unterrichtsstunden angesetzt. Und dann die vielen Fehltage …

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  • Archi W. Bechlenberg
    9. Mai, 2018

    Ganz ohne Ironie: mir fällt kein deutscher Linksintellektueller ein. Nicht einer. Geschwätzwissenschaft studiert zu haben oder Gedichte zu schreiben oder irgendwas mit Medien zu machen, ist kein Kriterium für Intellektualität.

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    • Ulrich Schellbach
      10. Mai, 2018

      Guten Tag, da hätte ich den Theaterregisseur Milo Rau im Angebot. Der ist zwar geborener Schweizer und studierter «Geschwätzwissenschaftler», aber er lebt wohl u.a. auch in Köln.
      Aufmerksam wurde ich auf ihn durch seine «Zürcher Prozesse» und die darin enthaltene Intention, welche dann allerdings nicht zu dem von ihm gewünschten Ergebnis führte. Neugierig geworden («Lerne die Gedanken der gegen dich offensichtlich nicht Wohlgesonnenen kennen!») erwarb ich eines seiner geschriebenen Werke, was in Anlehnung an einen bekannten russischen Religionsstifter des 20. Jahrhunderts den Titel «Was tun?» trägt. Ein durchaus interessanter Text, der keinen Zweifel an den bevorzugten Ansichten des Autoren übrig lässt , durchaus auch kritisch gegen die eigene, bourgeoise Meute: «Vom Kampfanzug zum Partyoutfit, vom apodiktischen Bolschewik zum nörgelnden Oberlehrer, vom hegelianischen Staatsstreich zur pluralistischen Konsumkritik, kurz: vom WAS TUN? zum WAS LIEBER NICHT KAUFEN? – diese erstaunliche Karriere des revolutionären Bewusstseins war für die wenigsten westlichen Linken eine Tragödie, für die meisten war es eine Befreiung…».

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    • Peter Thomas
      13. Mai, 2018

      Sie sind mir ein rechter Schelm! Hier eine kleine, unvollständige Auswahl: Kardinal Marx und Kardinal Wölkchen. Annette Schavan und Claudia Roth. Ralf Stegner und Antonia Hofreiter. Margot Honecker (+) und Anetta Kahane. Alfred Rosenberg (+) und Volker Kauder. Klaus Cleber, Angela Ohnekleid und Kollegah –
      Ich könnte fortfahren, endlos. Aber wer seinen Kopf in den Sand stecken will, verschließt besser die Augen!

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  • Peter Groepper
    15. Mai, 2018

    lieber Herr Wendt,

    «Gesetzesdurchsetzungsgesetz»

    Lassen Sie dieses verführerische Wort bloß nicht der Regierung zu Ohren kommen – sonst machen die das.

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Original: Wochenrückblick: Juli Zehs dröhnendes Schweigen

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