– Publico –
Politik, Gesellschaft & Übergänge

Die Freiheit der anderen

Original post is here eklausmeier.goip.de/wendt/2018/03-die-freiheit-der-anderen.


Wie eine Dresdner Buchhändlerin zur Symbolfigur im Streit um das offene Wort wurde

Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 7 min Lesezeit

stdsize

Es war einmal – so kann die Geschichte beginnen – eine Buchhändlerin namens Susanne Dagen in Dresden-Loschwitz. Ihr Laden lag und liegt auch heute noch nah an der Elbe; wer das Blaue Wunder überquert, die Stahlbrücke über den Fluß, der biegt rechts in ein Gässchen ein und steht nach ein paar Schritten vor dem Kulturhaus Loschwitz

, dem Haus Susanne Dagens, einem Häuschen aus dem 19. Jahrhundert in einer Umgebung, die schon sehr süddeutsch aussieht: Häuser mit Vorgärten, Kopfsteinpflaster, Weinwirtschaften. Unten in ihrem Haus befindet sich eine Buchhandlung, oben ein Veranstaltungsraum, im Nebengebäude Wohnung und ein Zimmer für Literaturstipendiaten. Zu ihr kommt vor allem das Bürgerpublikum von den Elbhängen. Vor Weihnachten immer Thomas de Maizière, bis vor kurzem noch Bundesinnenminister, um Bücher zum Verschenken zu kaufen. Die Autoren Uwe Tellkamp und Durs Grünbein, viele andere Leser. Zweimal bekam Dagen die Auszeichnung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels als „Buchhändlerin des Jahres“. Hier endet die Geschichte von der Frau, die als Institution in Dresden gilt beziehungsweise galt. Und es beginnt das Stück. „Die verlorene Ehre der Susanne D.“, das spätestens ab Herbst 2017 von praktisch jedem Medium geschrieben wurde. Schon vor der Frankfurter Buchmesse hatte sie sich mit einem SPIEGEL-Autor unterhalten, der Material für eine der üblichen Was-ist-eigentlich-im-Osten-los-Geschichten sammelte. Sie kamen auch auf die Pegida-Demonstrationen zu sprechen. Dagen sagte einfach, was sie meinte: Sie sei auf keine Pegida-Demonstration gegangen, aber sie finde es grundsätzlich gut und interessant, dass sich Leute mit ihrer politischen Meinung auf der Straße äußern. Seitdem schreibt praktisch jedes politisch wohlmeinende Blatt – wie vor ein paar Tagen der Berliner „Tagesspiegel“ – nur noch von der „Pegida-Sympathisantin und Buchhändlerin Susanne Dagen“. Dann folgte der zweite Akt. Auf der Buchmesse in Frankfurt/Main nach einem nur schwach verklausulierten Aufruf der Messegeschäftsführung des Börsenvereins, sich mit „rechten Verlagen“ unter Nennung von Standnummer und Veranstaltungsdaten „auseinanderzusetzen“. Was auch geschah: Linksradikale Truppen stahlen nachts Literatur von den Ständen des Antaios- und des Manuscriptum-Verlags, beschädigten und vernichteten Bücher, darunter auch Michael Klonovskys Roman „Land der Wunder“ , erstmals verlegt bei Kein & Aber, später bei Manuscriptum. Sie unterbanden und störten Veranstaltungen an den Ständen. Unmittelbar danach klagte der Chef der Buchmesse Juergen Boos auf Spiegel Online:

„Schon im Vorhinein wurde ausführlich über die drei, vier rechten Stände berichtet und ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse skandalisiert. Das Interesse an der Sensation macht solche Veranstaltungen noch wirkmächtiger. Das finde ich ganz schlimm.“

Die Ausschreitungen und die nachfolgende Heuchelei brachten Susanne Dagen dazu, die Charta 2017 herunterzutippen: Ein Aufruf, die Meinungsfreiheit nicht in den politischen Grabenkämpfen zu ruinieren. Seitdem ist sie nicht nur die Dresdner Pegida-Sympathisantin, sondern die bundesweit gefährliche Neurechte, die selbst gar nicht wusste, wie ihr geschah: die frühere DDR-Insassin mit maximaler Distanz zum System sah und sieht sich selbst als Liberale bis Libertäre.

Der Dresdner Autor Uwe Tellkamp gehörte zu den Erstunterzeichnern der Charta. Dagen half auch bei der Organisation der Diskussion zwischen Uwe Tellkamp und Durs Grünbein am Donnerstag vergangener Woche im Dresdner Kulturpalast. Eine lange Sündenliste also.

Am Donnerstag um 10.30 wird die Buchhändlerin auf der Leipziger Buchmesse mit Kollegen über Meinungsfreiheit diskutieren. Das ZDF und andere Kamerateams haben sich angesagt. Jetzt ist sie plötzlich für beide Seiten des Streits eine Symbolfigur.

9 Kommentare
  • Seppelfricke
    15. März, 2018

    Wenn Linke und Antifa gegen Bücher und die Meinungsfreiheit in den Kampf ziehen, ja dann ist es Zeit den Begriff Nazi neu zu definieren.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Sabine Schönfelder
    15. März, 2018

    Merkeldeutschland halt !

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • kdm
    15. März, 2018

    Ich – Berliner – lese den Tagespiegel (wie auch SZ, ZEIT und Spiegel) schon geraume Zeit (trotz des kleinen Lichtblicks Martenstein; wie lange lässt man ihn noch?) nicht mehr. Aus Gründen, die auch hier oben wieder erwähnt werden.
    Ich frage mich schon all die Jahre: Ist es Ideologie, die all diese Schreiber treibt, oder ist es Denkfaul-, also Dummheit? Oder die schreckliche Mischung von beidem?
    .
    Als Vielleser hielt ich von Buchhändlerinnen wenig; deren Geschmack (wenn ich so in die Auslagen schaue) trifft nie meinen. Aber diese Frau aus Dresden: Hochachtung !

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Alma Ruth
    15. März, 2018

    D macht auf mich den Eindruck von einem Irrenhaus. Ich lese viele Printmedien – von links nach rechts und umgekehrt. Konsensmanie, alles immer «grundsätzlich!, Friede, Freude, Eierkuchen. Alles was politisch nicht links von der Mitte steht ist rechtsradikal bis Nazi. Keine freie Meinungsäußerung mehr möglich. Tut man es doch und das Gesagte entspricht nicht der political correctness wird man sozial kaltgestellt. Das ist es, was mir aufs Schnelle einfällt. Wie anders kann man eine solche Gesellschaft nennen als irre? Bin ehrlich gesagt froh, daß ich nicht dort leben muß.
    lg
    caruso

    PS: Natürlich weiß ich, daß es in D eine große Menge «normal» denkende Menschen gibt. Viele sind großartig. Es ist die Politik die stinkt plus die Medien.

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Schildkröte
    15. März, 2018

    Die Charta 2017 habe ich damals unterschrieben und den link an alle meine Kontakte geschickt, darunter etliche belesene Kollegen. Nicht einer reagierte darauf. Es hat mich ziemlich erschüttert, dass die öffentliche Vernichtung von Büchern wieder derartig gleichgültig bzw. zustimmend hingenommen wird. Der Charta 2017 wünsche ich noch sehr viele Unterzeichner (32 Tage verbleiben) und Susanne Dagen viel Mut und die Kraft zum Durchhalten und Weitermachen!

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Grand Nix
    15. März, 2018

    Perfide Heuchelei, manipulierende Wortwahl, subtile Stigmatisierung, aufbauschende Skandalisierung und immer wieder gezielte Lücken in der Berichterstattung zu Ungunsten Unliebsamer, sind die üblen Werkzeuge unserer staatstreuen Systempresse.

    Und… «außerdem ist die Hure, die Presse, trotz der Widrigkeiten des Metiers, eine verteufelte Macht. » Emil Zola, Das Werk

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Rasio Brelugi
    15. März, 2018

    «Linksradikale Truppen stahlen nachts Literatur von den Ständen des Antaios- und des Manuscriptum-Verlags, beschädigten und vernichteten Bücher, darunter auch Michael Klonovskys Roman „Land der Wunder“ , erstmals verlegt bei Kein & Aber, später bei Manuscriptum.» (Zitatende)

    Hatten diese linksradikalen Truppen eigentlich anschließend einen Termin herausgegeben, wann die gestohlenen Bücher öffentlich verbrannt werden sollten?

    Auf diesen Kommentar reagieren

  • Eloman
    15. März, 2018

    Wie Ignazio Silone, so wird kolportiert, gesagt haben soll: Der neue Faschismus wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.»

    Auf diesen Kommentar reagieren

Original: Die Freiheit der anderen

Liebe Leser von Publico: Dieses Onlinemagazin erfüllt wie eine Reihe von anderen Medien, die in den letzten Jahren entstanden sind, eine zentrale und früher auch allgemein selbstverständliche publizistische Aufgabe: Es konzentriert sich auf Regierungs- und Gesellschaftskritik. Offensichtlich besteht ein großes Interesse an Essays und Recherchen, die diesen Anspruch erfüllen. Das jedenfalls zeigen die steigenden Zugriffszahlen.
Kritik und Streit gehören zur Essenz einer offenen Gesellschaft. Für einen zivilisierten Streit braucht es gut begründete Argumente und Meinungen, Informationen und Dokumentationen von Fakten. Publico versucht das mit seinen sehr bescheidenen Mitteln Woche für Woche aufs Neue zu bieten. Dafür erhält dieses Magazin selbstverständlich kein Steuergeld aus dem Medienförderungstopf der Kulturstaatsministerin Claudia Roth, kein Geld aus dem Fonds der Bundeszentrale für politische Bildung (obwohl Publico zur politischen Bildung beiträgt) und auch keine Überweisungen von Stiftungen, hinter denen wohlmeinende Milliardäre stehen. Ganz im Vertrauen: Publico möchte dieses Geld auch nicht. Die einzige Verbindung zu diesen staatlichen Fördergeldern besteht darin, dass der Gründer des Magazins genauso wie seine Autoren mit seinen Steuern dazu beiträgt, dass ganz bestimmte Anbieter auf dem Medien- und Meinungsmarkt keine Geldsorgen kennen. Es gibt nur eine Instanz, von der Publico Unterstützung annimmt, und der dieses Medium überhaupt seine Existenz verdankt: die Leserschaft. Alle Leser von Publico, die uns mit ihren Beiträgen unterstützen, machen es uns möglich, immer wieder ausführliche Recherchen, Dossiers und Widerlegungen von Falschbehauptungen anzubieten, Reportagen und Rezensionen. Außerdem noch den montäglichen Cartoon von Bernd Zeller. Und das alles ohne Bezahlschranke und Abo-Modell. Wer unterstützt, sorgt also auch für die (wachsende) Reichweite dieses Mediums.
Publico kann dadurch seinen Autoren Honorare zahlen, die sich nicht wesentlich von denen großer Konzernmedien unterscheiden (und wir würden gern noch besser zahlen, wenn wir könnten, auch der unersetzlichen Redakteurin, die Titelgrafiken entwirft, Fehler ausmerzt, Leserzuschriften durchsieht und vieles mehr).
Jeder Beitrag hilft. Sie sind vermutlich weder Claudia Roth noch Milliardär. Trotzdem können Sie die Medienlandschaft in Deutschland beeinflussen. Und das schon mit kleinem Einsatz. Der Betrag Ihrer Wahl findet seinen Weg via PayPal – oder per Überweisung auf das Konto 
(Achtung, neue Bankverbindung!) A. Wendt/Publico DE88 7004 0045 0890 5366 00, BIC: COBADEFFXXX
Dafür herzlichen Dank.

Die Redaktion