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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Ökonomisches Feuilleton

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Wer ist Schuld am Jobverlust in der konventionellen Energiebranche? Natürlich nicht die Cheerleader der Energiewende

Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 9 min Lesezeit

Industriebashing gehört zu den bevorzugten Tätigkeiten von Journalisten, vor allem dann, wenn sie Deutschland vom Berliner Zentrum aus beschreiben. Die ganze Stadt dient bekanntlich als Beweis dafür, dass Produktionshallen und Schornsteine für die Wertschöpfung kaum nötig sind.

In dieser Tradition nahm sich der Berliner Tagesspiegel kürzlich Siemens-Chef Joe Kaeser vor. Ihm wird derzeit medial und politisch angekreidet, dass er mehrere Standorte für Gaskraftwerks-Turbinen in Deutschland schließen will.

„Joe Kaeser kann peinlich sein“, beginnt der Tagesspiegel-Text: „Wenn er stolz wie Oskar bei Putin auftaucht, vor Merkel Diener macht oder sich an Trump ranschmeißt, sieht das weniger nach Vorstandschef eines global agierenden Unternehmens aus als nach Bub aus der bayrischen Provinz.“

Man weiß nicht so richtig, wie sich der Redakteur die Jobbeschreibung eines Konzernchefs vorstellt, dessen Unternehmen weltweit Standorte unterhält und in nahezu alle bewohnten Erdteile seine Anlagen verkauft. Soll er sich mit Putin und Trump Streitgespräche liefern? Was Merkel angeht: Vermutlich weiß der Autor nicht, wie ein Diener aussieht. Nämlich so, wie ihn der ARD-Mitarbeiter Jörg Thadeusz vorbildlich ausführt:

Aber weiter in der Abrechnung mit Kaeser und Siemens:

„Nach allen möglichen Eseleien rund um den geplanten Stellenabbau hat Kaeser inzwischen dazugelernt, Tempo aus dem Prozess genommen und wirbt für die Suche nach verträglichen Lösungen für alle Beteiligten.“

Was er wohl gelernt hat?

„Kaeser glaubt nicht an die Zukunft der weltweit modernsten Gasturbinen in Berlin-Moabit, weil er nicht an die Zukunft der konventionellen Energieträger glaubt. Da liegt er vermutlich richtig (…)“

Da entfaltet sich das ökonomische Wissen eines Medienschaffenden geradezu exemplarisch. Denn Siemens glaubt sehr wohl an die Zukunft von Turbinen, Gaskraftwerken und konventioneller Energie. Nur eben nicht in Deutschland. Und zwar aus einem handfesten Grund: Hierzulande baut niemand mehr Gaskraftwerke. Im Gegenteil, vor ein paar Jahren legte Eon das Gaskraftwerk Irsching still, eine der modernsten Anlagen in Europa – weil mit Gaskraftwerken kein Geld mehr zu verdienen ist. Durch den exzessiven Ausbau von Windkraft und Solaranlagen, zusammengefasst unter dem politischen Begriff „Energiewende“, wird der Markt mit subventioniertem Strom aus diesen Anlagen geflutet, zumal die Betreiber das Privileg genießen, immer einspeisen zu dürfen, egal, ob ihre Energie gebraucht wird oder nicht. Die Mengen drückten den Börsenstrompreis immer tiefer, aktuell im Schnitt auf zwei bis zweieinhalb Cent pro Kilowattstunde. Ein Gaskraftwerk produziert die Kilowattstunde allerdings zu etwa sechs Cent. Selbst die effizientesten Werke haben also keine Chance. Folglich braucht auf dem Heimatmarkt von Siemens niemand mehr Turbinen.

Paradoxerweise können unter diesen Bedingungen nur noch abgeschriebene Kohlekraftwerke und Atommeiler eine kleine Marge verdienen. Letztere gehen allerdings spätestens 2022 vom Netz. Der Grünstromboom verdrängt also durch seinen Markteffekt gerade Gas, den Brennstoff also, der im Gegensatz zur Kohle deutlich weniger CO2 freisetzt. Kein Wunder, dass der deutsche Kohlendioxid-Ausstoß schon seit 10 Jahren nicht sinkt. In den letzten Jahren stieg er sogar wieder.

Ganz anders in den USA: dort sackten die Gaspreise durch das Fracking schon unter Obama unter die Kosten von Kohle. Die Verdrängung funktionierte genau umgekehrt, Gas schob Kohle beiseite. Und das ganz ohne quasistaatliche Energieplanwirtschaft. In den Vereinigten Staaten nimmt man also Turbinen gern, in denen das Können deutscher Ingenieure steckt, während die gleiche Sparte in Deutschland selbst ihre Tore schließt.

Im Bundestagswahlkampf hatte Martin Schulz schon einmal versucht, Kaeser mit den guten alten Begriffen wie „Profitgier“, „asozial“ und „Arbeitsplatzvernichtung“ für die geplante Werksschließung in Görlitz und Berlin zum Gesellschaftsfeind aufzubauen. Der Manager antwortete damals mit einem offenen Brief, in dem er Schulz daran erinnerte, dass die SPD (wie die anderen Parteien auch) die Energiewende jubelnd begrüßte, eisern vorantrieb und immer noch vorantreibt. Und das unter dem Applaus der allermeisten Medien und deren „Cheerleader-Journalismus“ (Wolfgang Streeck), mit dem sie 2011 ohne einen Hauch des Zweifels Jürgen Trittins Versicherung verbreiteten, das Großexperiment würde eine Durchschnittsfamilie „nicht mehr als eine Kugel Eis“ kosten, also einen Euro, es werde Millionen grüne Jobs und billigen Strom im Überfluss bringen. Heute bezahlt eine dreiköpfige Familie zwischen 12 und 15 Euro Ökostromumlage pro Monat plus rasant steigende Netzgebühren.

Die Zahl der Jobs im Ökoenergiebereich erreichte 2011 ihren Höhepunkt bei mageren 381 000,und geht seitdem kontinuierlich zurück. Nach einer Untersuchung des Instituts für die Zukunft der Arbeit (IZA) hängen außerdem zwei von drei dieser Jobs von Subventionen ab. Der Strom in Deutschland ist mittlerweile der zweitteuerste nach Dänemark. Die CO2- Emissionen, wegen der die ganze Zerschlagung der bewährten Energiewirtschaft ins Werk gesetzt wurden, sinken – siehe oben – überhaupt nicht. Dafür verschwinden jetzt nach und nach auch die gut bezahlten Jobs in der Kraftwerkszuliefer-Industrie. Genauer, sie wandern ab.

Kurz zurück zu dem Tagesspiegel-Schreiber: Bei seiner Skizzierung Kaesers – peinlich, bayerischer Bub, Eselei – fragt sich der geneigte Leser, warum er eigentlich als Medienschaffender mäßig entlohnt in seinem Büro am Askanischen Platz hockt, statt als Spitzenmanager ein deutsches Industrieunternehmen in die grüne Zukunft zu führen, oder besser noch, selbst eine Firma zu gründen. Am besten gleich in Berlin.

Erst den Wohlstandsverlust begeistert herbeitrommeln, dann mit dem Finger auf denjenigen zeigen, der ihn bilanzieren muss: Martin Schulz und die Journalisten des ökonomischen Feuilletons haben gleichlaufende Interessen.

7 Kommentare
  • Horst-Dieter Schulz
    2. Februar, 2018

    Beim Strompreis hat Deutschland inzwischen Dänemark eingeholt und wird wohl in Kürze einsamer Spitzenreiter sein.

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  • oldman
    2. Februar, 2018

    Strunzdumm, verbohrt, aber von sich maximal überzeugt. Qualitätsjournalismus, made in Germany 2018. Tagesspiegel eben.

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  • kdm
    3. Februar, 2018

    A propos «Cheerleader-Journalismus»;
    auch recht passend ist diese meine kleine Sammlung:

    Das Fäuleton.
    Der Johurnalist.
    Zeitungsvollschreiber.
    Unterhosenpresse.
    Currywurst- und Käsestullenjournalisten.
    Fankurven-Journalismus.
    . . .

    («durch seinen Markeffekt» – da fehlt ein «t» in Markt, oder?)

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  • Gerhard Sauer
    3. Februar, 2018

    Jetzt mußte ich erst mal nachschlagen, was ein cheerleader ist. Ist es ein Jubelperser, der von der Energiewende nicht genug bekommen kann? Sollte man ihn dann vielleicht als energetischen Jubelwender bezeichnen?

    Aber Spaß beiseite. Der Redakteur hat recht, das Argument für die Siemens-Generatoren und –Gasturbinen gäbe es in Deutschland keinen Bedarf, zieht nicht. Man darf erwarten, daß so ein Industriemanager auch Ideen hat, wie ein Bedarf geschaffen werden kann. Es ist z. B. nicht einzusehen, warum Gasturbinen mit angeschlossenem Generator nicht dafür eingesetzt werden, Kältemaschinen zur Herstellung der trittinschen Eiskugeln anzutreiben. Gar manchem Stromkunden, der haareraufend, hocherregt und rotgesichtig vor seiner Wendestromrechnung sitzt, wäre geholfen, wenn er zur Abkühlung seines emotionalen Fiebers Eiskugeln vom Stromlieferanten gespendet bekäme. Die Eiskugeln holen ihn wieder zurück auf den windradüberwucherten Boden der merkelhaften Energiewende und versöhnen ihn mit seinem Schicksal, in einem Land und einer Zeit der Stromwendehälse zu leben. Auf diese Weise hätten alle etwas vom Einsatz der Siemens-Gasturbinen: Der vom Segen der Energiewende durchglühte IG Metall Gewerkschafter, dessen Arbeitsplatz trotz seines Einsatzes für seine Abschaffung erhalten bleibt, und der Jubelwender, der mit Vergnügen sieht, wie der Ärger der Strombezieher unter Bergen von Eiskugeln einfriert.

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  • Andreas Dumm
    3. Februar, 2018

    Begnadet geschrieben, wie immer. Danke! Wobei es naturgemäß keinen Spaß macht, in diesen Abgrund an Inkompetenz und Ignoranz zu blicken. Aber wer dem Teufel entgehen will, sollte eine realistische Vorstellung von der Hölle haben.

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  • antipodean
    4. Februar, 2018

    Solange unsicherer Strom (Wing und Solar) besser bezahlt wird als sicherer Strom (Kohle, Gas und Nuklear), dann produziert das System zwangsläufig unsichere Versorgung. Der Markt wird’s schon irgendwann richten (durch massiven Zuwachs von Speicherkapazität und Verbrauchsreduktion), doch das ist mit erheblichen Belastungen für die Volkswirtschaft verbunden.

    Genauso wie bei der Grenzöffnung kann man sich nur noch fragen: Warum in Gottes Namen tun sich die Deutschen das nur an? Sind das alles Masochisten?

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  • Seppelfricke
    4. Februar, 2018

    Dieses Land hat sich auf die Fahnen geschrieben zu einem Land von Sozialarbeitern und Ökos zu werden. Berlin macht es vor. Die Tatsache, das Berlin die einzige Hauptstadt der Welt ist, welche die Wirtschaftskraft ihres Landes in Teilen aufzehrt anstatt selbst einen Beitrag zu leisten, sollte jedem zu bedenken geben wohin wir langsam steuern. Freuen wir uns mit Frau KGE auf die bevorstehende Veränderung….

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Original: Ökonomisches Feuilleton

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