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Politik, Gesellschaft & Übergänge

Minderjährige Flüchtlinge? Die Fakten

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In der öffentlichen Debatte behaupten Aktivisten, es sei unmöglich, das Alter von Migranten zu bestimmen. Die Behauptung basiert auf systematischer Tatsachenverdrehung

Von Alexander Wendt / / politik-gesellschaft / 20 min Lesezeit

Von Marisa Kurz/Alexander Wendt

Nach dem Tod der 15-jährigen Mia aus Kandel treten fast täglich Fachleute in den Medien auf, die sich zur forensischen Altersbestimmung von minderjährigen Asylbewerbern äußern. Am angeblichen Alter von Mias mutmaßlichem Mörder Abdul M., der 2016 als unbegleiteter, minderjähriger Flüchtling (UMF) illegal nach Deutschland eingereist ist, bestehen erhebliche Zweifel.

Immer wieder waren in der Vergangenheit Fälle von Asylbewerbern bekannt geworden, die sich fälschlicherweise als minderjährig ausgegeben haben. So etwa auch Hussein K., der Mörder der Freiburger Studentin Maria.

Der Tenor etlicher einflussreicher Stichwortgeber lautet: Es gibt gar keine wissenschaftlich anerkannte Methode, das Alter eines Menschen festzustellen. Außerdem sei die Überprüfung durch das Röntgen der Handwurzelknochen ein unnötiger, ja belastender medizinischer Eingriff. Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery meinte jüngst gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die obligatorischen Untersuchungen zur Altersbestimmung von UMF abzulehnen sei. Die Untersuchungen seien nicht nur «aufwendig, teuer und mit großen Unsicherheiten belastet«, sondern auch ein Eingriff in das Menschenwohl und die körperliche Unversehrtheit. Damit schließt sich Montgomery der Argumentation der Ethikkommission der Bundesärztekammer an, die sich schon 2016 gegen die medizinische Altersbestimmung von Flüchtlingen ausgesprochen hat.

Daran stimmt wenig bis nichts.

• Das Alter eines Menschen lässt sich zwar tatsächlich nicht exakt bestimmen. Bei der Methode des Handröntgens gibt es eine Abweichung von 28 Monaten nach unten und oben. In der Praxis wenden Forensiker das so genannte „Mindestalter-Konzept“ an, das heißt, sie nehmen ohnehin einen entsprechenden Abschlag nach unten vor. In den konkreten Fällen vorgeblich minderjähriger Migranten geht es auch gar nicht darum, ihr Geburtsdatum zu bestimmen, sondern zu entscheiden: sind sie minderjährig oder nicht? Wird etwa per Diagnose ein Alter von 23 Jahren ermittelt, dann kann der Betreffende knapp über 20 sein oder etwas über 25. Aber eben keine Fünfzehn.

Die Rechtsmediziner der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik (AGFAD) der DGRM wehren sich seit Jahren gegen den Vorwurf, die medizinische Altersbestimmung sei » zu ungenau». Wie die Rechtsmediziner in einem Übersichtsartikel darstellen, liegt das bestimmte Mindestalter in aller Regel unter dem tatsächlichen Alter der Untersuchten. Dass Untersuchte fälschlicherweise als zu alt eingeschätzt werden, halten die Experten für praktisch ausgeschlossen. Die Strahlendosen der zur Altersdiagnostik eingesetzten Röntgenverfahren lägen mit 0,0001 bis 0,4 Millisievert außerdem weit unterhalb der natürlichen effektiven Strahlendosis in Deutschland von 2,1 Millisievert pro Jahr.

• Zweitens muss noch nicht einmal durch Röntgenuntersuchung festgestellt werden, ob sich die Wachstumsfugen der Handknochen vollständig geschlossen haben. Das Fraunhofer Institut entwickelte eine Methode, um diese Untersuchung per Ultraschall – also ohne Strahlenbelastung für den Körper – durchführen zu können. Das mobile Messgerät namens PRIMSA soll zur Bekämpfung von grenzüberschreitendem Kinderhandel eingesetzt werden, es wurde deshalb zur schnellen und mobilen Altersbestimmung konzipiert. Die Fraunhofer-Forscher stellten es erstmals auf der MEDICA2017-Messe in Düsseldorf im November 2017 vor.

„Das von uns entwickelte PRIMSA-Handscanner-System“, so der zuständige Projektleiter Holger Hewener in einer Mitteilung des Fraunhofer Instituts, „ermöglicht die Bestimmung der Volljährigkeit durch mobile Ultraschallmessung und kann nicht-invasiv und effizient ohne richterlichen Beschluss bei jedem Verdachtsfall angewendet werden.“

Warum ist die Altersbestimmung so wichtig? Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge müssen anders als Erwachsene in kleinen Wohngruppen oder bei Pflegeeltern nach den deutschen Jugendschutzbestimmungen untergebracht werden. Die Kosten liegen dabei pro UMF und Monat bei bis zu 5000 Euro. Seit 2016 wurden nach Angaben des Bundesfachverbands unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e. V. über 60.000 Asylanträge von vorgeblich Minderjährigen gestellt. Minderjährige dürfen außerdem die Nachholung von Verwandten beantragen. Ihre Abschiebung, selbst wenn sie sich kriminell verhalten, ist in der Praxis noch schwerer als die Ausweisung volljähriger Migranten.

In Deutschland werden zum Ausschluss einer Lungentuberkulose übrigens von allen über 15-jährigen Asylbewerbern, die in Massenunterkünften untergebracht werden, Röntgenaufnahmen des Thorax angefertigt. Bemerkenswert ist, dass diese Maßnahme weitgehend unbeachtet bleibt, während die Rechtsmediziner seit Jahren öffentlich dafür kritisiert werden, dass sie Röntgenuntersuchungen zum Zweck der Altersbestimmungen von Flüchtlingen verteidigen.

Dazu schreiben Mediziner in einer Stellungnahme zu einer umstrittenen Reportage des ZDF :

„Seit Jahren agitiert eine bestimmte, ideologisch motivierte Interessengruppe gegen die amtswegige Sachverhaltserhebung zur Altersbeurteilung fraglich unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge…Mittels unzutreffender Behauptungen und einer diskreditierenden Wortwahl wird versucht, öffentlichen Druck auf politische Entscheidungsträger, die Rechtsprechung, die ärztliche Standesvertretung und auch auf Gutachter auszuüben.“

In einem Aufsatz zur Entstehungsgeschichte der Stellungnahme der Ethikkommission der Bundesärztekammer deckt ein Sachverständiger für asylrechtliche medizinische Begutachtung enge Verbindungen der Kommission zum Verein „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.“ (IPPNW) auf. Der Verein positioniert sich für eine Politik der offenen Grenzen und gehört zu den größten Gegnern der medizinischen Altersdiagnostik bei Flüchtlingen. Wie es in deren Satzung heißt, möchte der Verein „politisch Einfluss nehmen“.

Was ihm bisher in vielen Medien auch gut gelingt.